In der Ausgabe des SWK-Magazins «Rede Mitenand» 1/2023 ging es um das Thema: «Verwurzelung», und wir hatten die Freude, dazu einen echten «Baum- und Wachstumsexperten» zu befragen: Daniel Gruber (Jg. 1988), Religionspädagoge, Beter, Familienvater. Er war viele Jahre einer der Leiter des Freiburger Gebetshauses, ist Mitglied im Konvent der Evangelischen Allianz Deutschland und engagiert in anderen Netzwerken. Daniel Gruber ist Autor des in 2022 in der SCM Verlagsgruppe erschienenen Buches «Wie ein Baum am Wasser. Voll Schönheit und Leben. Verwurzelt in Gott.»

Eberhard Koll (EK): In Deinem Buch «Wie ein Baum am Wasser» ermutigst Du die Leser das «Baum-Prinzip» für sich zu entdecken. Um was geht es da genau?

Daniel Gruber (DG): Mit dem Baum-Prinzip versuche ich eine ganz persönliche Entdeckung zu beschreiben, die ich unbedingt teilen möchte. Rund um das Bild vom Baum habe ich viele lebensbringende und entlastende Entdeckungen gemacht. Im Kern steht die wilde Behauptung, dass die eine und einzige wirklich wichtige Aufgabe die Verwurzelung in Gott ist. Das einzige Must-Have des Baumes ist es, das Wasser zu ziehen. Daraus kommt alles Leben. Es ist so simpel wie tief. Jesus sagt in Lukas 10: «Nur eins ist nötig», die Verbindung mit ihm. Geistlicher Minimalismus. Alles andere kommt daraus. Im Chaos der vielen Optionen und Aufgaben hilft mir dieses Prinzip enorm. Es ist wie ein Anker, den ich auswerfe, wenn ich überfordert bin. Es führt mich in eine echte Freiheit hinein! Und in diese Freiheit möchte ich meine Leserinnen und Leser mit hineinnehmen.

EK: Was hat Dich bewogen bzw. war der Auslöser, dieses Buch zu schreiben?

DG: Auslöser waren Impulse von Bekannten und Freunden, die mich zeitgleich ermutigt haben, anzufangen zu schreiben. Ich habe sie ernst genommen und begann mit einem Handbuch für ein Schulungsformat bei uns. Das Empfinden, ich solle was schreiben, hörte aber noch nicht auf. Daraufhin hatte ich eine Zeit, in der ich Psalm 1 meditierte und gemerkt habe, wie jeder einzelne kleine Teil des Psalms, bis hin zu einzelnen Wörtern, für mich eine ganze Gedankenwelt eröffnet, in der ich mich die letzten Jahre bewegt habe. Dieser Psalm hat es geschafft, ganz viel davon zusammenzubringen. Das war so reichhaltig, dass mir klar wurde: Wenn ich ein Buch schreibe, dann hat es hiermit zu tun. Daraufhin habe ich ein Konzept erstellt und es kam eins zum anderen, der Verlag hat mich gefunden und mich ermutigt, dieses Buch auch wirklich zu schreiben. Das war echt geführt.

EK: Du startest Dein Buch mit dem Aufzeigen der Notwendigkeit einer tieferen Verwurzelung und dem «VUCA-Begriff». Was genau ist Dir da wichtig?

DG: Erst mal zum VUCA-Begriff: Das ist ein älterer Begriff, bestimmt schon 20 oder 30 Jahre alt, aber meiner Meinung nach sehr aktuell. Es ist ein Akronym, welches beschreibt. wie schnelllebig, unsicher und komplex unsere Zeit ist. Davon gibt es auch ein Update, das führe ich ebenfalls einmal kurz an, welches eine Steigerung von dem Ganzen ist. Ich glaube, wir befinden uns in einer Zeit, in der es so viele Optionen gibt, so viele Meinungen zu hören sind, Medien und Politik so unglaublich schnell auf Ereignisse reagieren und Veränderungen schneller kommen, als wir es aus der Vergangenheit gewohnt sind. Um hier gute Entscheidung treffen zu können und Orientierung zu haben, müssen wir bei der Klarheit über unserer Identität und bei Sinnfragen ansetzen. Wo kommen wir her, warum leben wir, was macht mich aus, wo geht es hin? Wenn wir dann verinnerlichen, dass unser Wert von Gott gegeben und nicht durch unsere Leistung erkauft wird, oder beginnen vom Geist Gottes wahrzunehmen, wie er unserem Geist die Liebe des Vaters verständlich machen möchte, dann können wir hoffentlich mit einer größeren Klarheit, Empathie und Stabilität der Komplexität und Flüchtigkeit unserer Zeit begegnen. Es braucht diese Art von Verwurzelung, um zu wachsen und die eigenen Gaben einzubringen. Wer in dieser Zeit selber nicht gut gegründet ist, steht in der Gefahr hin- und hergeworfen zu werden. Er oder sie verliert vielleicht den Fokus im und die Freude am Leben. Verliert sich vielleicht in Ängsten und Zweifeln. Deshalb ist Verwurzelung so essenziell für uns.

EK: «Freude am (blossen) Sein» reicht das aus Deiner Sicht oder was ist der tiefere Sinn des Lebens?

DG: Da stellst Du eine gute Frage! Ich würde es eher so sagen: Eine Komponente vom Sinn des Lebens ist es, dass wir sind. Also Gott will, dass wir leben. Unser Leben hat an sich bereits Wert in seinen Augen. Wenn wir in Dankbarkeit vor Gott leben, dann denke ich, dass wir bereits das Allermeiste von dem erreicht haben, was Gott möchte. Wir leben in einer Zeit, in der es viel um Selbstoptimierung geht. Ich glaube, ganz viel der Botschaft der Bibel spiegelt sich darin wider, dass wir lernen, wirklich zu leben und wirklich zu sein und auch mit Gott zu sein. Dazu gehe ich in meinem Buch auf einen Vers aus der Apostelgeschichte ein. Da sagt Paulus, dass Gott die Welt geschaffen hat, damit wir leben und damit wir Gott vielleicht ertasten und fühlen können. Das Leben an sich ist ein ganz wichtiger Teil und wenn wir es schaffen. ihn zu finden, dann haben wir den anderen ganz wichtigen Teil. Und alles andere, ich wage es mal ganz krass zu sagen, ist Beiwerk drum herum und entsteht aus einem gegründeten Leben.

––––––––– Nachfolgend das vervollständigte Interview: ––––––––– 

EK: Psalm 1 ist Grundlage und roter Faden in Deinem Buch. Inwiefern ist er für Dich der Schlüssel für ein gelingendes Leben?

DG: Psalm 1 ist nur ein Tor, das uns Gedanken über ein gelingendes Leben öffnet. Er führt uns zum Beispiel vor Augen, wie wir ein konsequentes Nein zu manchen Dingen haben sollen. Der Psalmist sagt drei Mal Nein. Glücklich, wer dem Rat der Gottlosen nicht folgt, wer den Weg der Sünder nicht betritt und wer nicht im Kreis der Spötter sitzt. Gehen, stehen und sitzen. Wie Synonyme für alle Lebenslagen. Glücklich ist der Mensch, der an den entscheidenden Stellen Grenzen und einen Fokus setzt, Nein sagen kann und sich Zeit nimmt, über Gottes Worte nachzudenken. Es ist spannend, dass der Psalmist nicht einfach drei Mal Ja sagt zu Gottes Wort, sondern es meditiert, darüber nachsinnt. Er sagt nicht blind Ja dazu, sondern er durchdenkt es, verstoffwechselt es. Das Nachsinnen über Gottes Wort wird zum Nährstoff für das eigene Leben und damit ist es ein Schlüssel zu gelingendem Leben.

EK: Du schreibst, dass Gott ein Gott ist, der den Dialog sucht. Wie erlebst Du persönlich diesen Austausch?

DG: Ich finde es oft schwierig zu sagen: Das hat jetzt Gott gesagt. Bei mir ist es eher ein Bauchgefühl, bei dem ich sage: Das ist jetzt interessant, es scheint nicht direkt aus meinen Gedanken herauszukommen. Wenn ich denke, dass es ein Impuls von Gott sein könnte, dann gehe ich dem nach und schaue und staune manchmal sehr darüber, wie sich Türen öffnen. Der Impuls entfaltet sich wie zu einer echten Weisheit für den Moment und dann bekomme ich im Nachhinein bzw. auf dem Weg eine gewisse Sicherheit darüber, dass ich glaube, dass da Gott geredet und etwas in mich reingelegt hat. So versuche ich mit den verschiedenen Erfahrungen seinem Reden nachzugehen, ein sensibles Gespür dafür zu entwickeln.

Darüber hinaus erlebe ich auch, dass Gott durch Umstände, Bibelworte und Anderes reden kann. Ich finde, dass seine Stimme eine bestimmte Intonation hat. Sie transportiert Freiheit, Klarheit und Perspektive. Für mich hat der Dialog viel mit Hinhören und Prüfen, mit Herz und Verstand zu tun.

EK: Was braucht es, damit wir als «Baum» stetig wachsen und viel Frucht bringen?

DG: Natürlich braucht der Baum Wind und Wasser und Sonne. Aber auf diese ganzen äußeren Bedingungen haben wir als Baum ja gar keinen Einfluss. Der Baum muss sich darauf konzentrieren, dass sein Leben aus dem Verborgenen kommt, aus dem Wurzelwerk. Da zieht er das Wasser und die Nährstoffe. Wenn das Wurzelwerk nicht gut ist, nicht an die Nährstoffe drankommt, eingeengt ist, dann ist es eine natürliche Folge, dass er bald auch keine guten Früchte mehr bringt. Der Baum braucht also das Bewusstsein, dass das Leben aus dem Verborgenen kommt. Die Motive unseres Herzens, dem, worauf wir unsere Sicherheiten gründen, der Reflektion der eigenen Sehnsüchte und Wünsche. Wenn wir damit gut umgehen und das Leben Gottes genau da hineinlassen, ist das ein guter Dünger, der auch gute Früchte hervorbringen wird. Und es hilft uns zu wissen, dass wir die Früchte nicht aus uns herauspressen, sondern eigentlich nur etwas weitergeben, was wir empfangen haben und dem aber eine ganz eigene Note verpassen dürfen.

EK: Und was genau ist meine Aufgabe und Verantwortung in dem gesamten Wachstumsprozess?

DG: Das ist eine gute weiterführende Frage: Meine Aufgabe ist es, auf mein verborgenes Innenleben zu achten und genau hier Gott hineinzulassen, seine Worte und Gedanken aufzusaugen und zu reflektieren. Als Ergänzung vielleicht folgender Gedanke: In meinem Religionspädagogik Studium hatte ich ein paar Module der Sozialen Arbeit drin. Eine der wichtigsten Aussagen war, dass niemand anders die Verantwortung für unser Leben hat als wir selbst und liegt maßgeblich bei mir! In einer Zeit, in der so viel um unsere Aufmerksamkeit gekämpft wird, ist es wichtig selber zu entscheiden, worauf ich meine Aufmerksamkeit richten will. Wenn ich nicht weiß, welche Prioritäten ich habe, werden andere gute Ideen haben, was meine Prioritäten sein sollten. Andere werden uns lenken und uns Ideen geben, wohin wir unsere Wurzeln ausstrecken sollten, welche Wünsche und Ziele wir uns zu eigen machen sollen und welche Früchte unser Leben bringen sollte. Deshalb ist es für den guten Wachstumsprozess unsere Aufgabe, mit unserem Innenleben bewusst umzugehen und es mit Gottes Perspektiven zu füttern. Aber wenn wir anfangen, nur noch auf unser Innenleben zu achten und den Rest der Welt aus dem Blick zu verlieren, ist das auch nichts. Es braucht immer die Balance, damit wir gut wachsen können.

EK: Inwiefern ist das «Baum-Prinzip» tauglich für ein fruchtbares Miteinander?

DG: Da sprichst Du eine spannende Sache an, denn bisher hat sich hier viel um uns und Gott gedreht. Erich Zenger, einer meiner Lieblingstheologen, wenn es um Psalmenauslegung geht, schreibt in etwa: «Der eigentlich Fruchtbringende für seine Umgebung ist genau diese Person, die am Quellbach der Thora gepflanzt ist.» Wir können uns das wie einen großen grünen Baum vorstellen, der mit seinem Blätterdach Sauerstoff produziert und Schatten spendet und bei dem es einfach angenehm ist zu sein, weil man in seiner Nähe frei atmen kann. Diese Person gibt ganz natürlich etwas Gutes nach außen und ist damit auch gut für das Miteinander. Im Gegensatz dazu gibt es auch Bäume, die gefühlt ihre Umgebung nur aussaugen, ihr alle Nährstoffe entziehen. Wo das eigene Innenleben und die eigene gesunde Verwurzelung nicht gegeben ist, da kann es schnell passieren, dass wir versuchen, Nahrung von den Menschen um uns herum zu beziehen, um unsere eigenen Defizite zu kompensieren. Wenn wir von Gottes Weisheit lernen, können wir hoffentlich auch zu einer Wohltat für die Menschen um uns herum werden und ihnen ein gutes Gegenüber sein.

EK: Was ist dein Lieblingsbaum – Daniel? Und ist wirklich jeder Baum schön?

DG: Ich musste gerade spontan an Mangobäume denken. Die sind cool. Jetzt gerade schaue ich sehr gerne die Rotbuche in unserem Garten an. Die ist wunderschön gewachsen, wird von der Abendsonne herrlich angestrahlt und hat eine prächtige Baumkrone. Ist jeder Baum schön? Zumindest hat jeder Baum das Potenzial, schön zu sein. Ganz, ganz viele Bäume sind auch einfach wunderschön. Wo aber Bäume eingeengt und eingezwängt sind und sich ihren Weg zum Wachsen suchen und erkämpfen müssen, da kann man schon mal deutliche Wunden und Unschönes finden. Sie verlieren etwas von der Schönheit, die sie eigentlich haben sollten. Ich wünsche jedem Baum, dass er wirklich den Platz, das Wasser und die Nährstoffe bekommt, die er oder sie braucht, um gut zu wachsen. Und vielleicht besteht darin auch die Kunst, bereits das Schöne in dem zu sehen, wo es noch nicht ganz da ist oder wo es nicht den Raum hatte, sich zu entwickeln. Wir müssen auch ein wenig mit dem Schmerz leben, dass auf dieser Welt sich nicht alles in voller Schönheit entfalten kann, es aber jemanden gibt, der am Ende dieses Zeitalters sagen wird: «Ich mache alles neu» und mit ihm auch die vollkommene Schönheit einziehen wird.

EK: Etwas herausfordernd fragst Du in Deinem Buch, auf was sich die Wurzeln unseres Herzens in der Tiefe wirklich gründen? Hast Du Tipps, wie man echtes (Gott-)Vertrauen lernt?

DG: Da muss ich kurz drüber nachdenken. Vertrauensaufbau hat viel damit zu tun, wie echt wir vor Gott sind. Wenn wir Masken aufsetzen vor ihm, wie weit und tief und ehrlich kann dann diese Beziehung werden? Wo man unecht ist und wo das Unechte auch sichtbar wird, da geht Vertrauen verloren. Wenn wir ihm gegenüber echt sind, lernen wir vielleicht auch kennen, wie er echt ist und wie er in unserem Leben Anteil bekommt. So können wir im Vertrauen zu ihm und im Vertrauen zueinander wachsen. Dann machen wir hoffentlich Erfahrungen, wie er uns durch unsere Höhen und Tiefen, Freuden und leidvollen Momente hindurch begleitet, wie er uns versorgt und wie er manchmal kreativ auf unsere Gebete eingeht.

EK: Letztendlich will wahrscheinlich jeder so (glücklich) sein, wie der Baum in Psalm 1 beschrieben. Zusammenfassend und abschliessend, was ist nun der Job des «Göttlichen Weingärtners» und was ist meiner, damit das gelingt?

DG: Ich denke, ein Aspekt ist es, dass wir uns der Hand des göttlichen Gärtners anvertrauen. Lernen zu differenzieren, wo er spricht und wozu er rät. Seine Wege mitzugehen und zu vertrauen, dass seine Wege gut sind. Das ist auch für mich immer wieder eine Herausforderung. Wie sehr traue ich es ihm zu, dass er es gut mit mir meint und dass er sich um mich kümmert? Das ist gar nicht einfach. Ich schaue manchmal zurück und staune, wie er sich in ganz unterschiedlichen Kontexten um uns gekümmert hat. Wenn ich mich daran erinnere, gibt es mir Mut, ihm wieder neu auch für die nächste Zeit zu vertrauen.

Das Thema ist sensibel und mein Buch ist sensibel geschrieben, weil mich genau diese Fragen auch beschäftigen und herausfordern.

Das Interview führte
Eberhard Johannes Koll
Leiter Marketing und Kommunikation

Dezember 2022