In der Ausgabe des SWK-Magazins «Rede Mitenand» 1/2024 ging es um das Thema «NeuEntdecker» und wir hatten die grosse Freude, mit dem vielfach ausgezeichneten Journalisten und Regisseur Lukas Augustin zu sprechen. Er entdeckt von Berufswegen und aufgrund seiner Leidenschaft immer wieder Neues. Zuletzt war er bei der Realisierung des Dokumentarfilms «Philipp Mickenbecker – Real Life» («The Real Life Guys») zu sehen.

Lukas Augustin (37), Christ, Ehemann (von Salome), Journalist, Regisseur, Kameramann, Fotograf, Initiator von Kreativprojekten, Emmy-Preisträger, Grimme-Preis Nominierter, Berlin und Musik – Lover, Breisgauer und meist Zopfträger, Freund der Community «The Real Life Guys» und noch so viel mehr…

Nachfolgend das vollständige Interview:

Eberhard Johannes Koll (EK): Lukas (LA), du hast über 3 Jahre an «Philipp Mickenbecker – Die Dokumentation – Real Life» gearbeitet, die bisher in über 300 Kinos und Gemeinden in Deutschland und der Schweiz lief. Der Film lockte mehr als 80K Zuschauer an. Welche persönlichen Spuren hat diese Reise bei dir hinterlassen?

LA: Ja, es war wirklich eine Art Reise. Zum Start des Films machten uns die Filmverleihfirmen kaum Hoffnung, was die Verbreitung anging. Zum einen, weil es Dokumentationen im Kino grundsätzlich an Akzeptanz fehlt, zum anderen unser Film das Tabuthema «Tod» behandelt. Sie sagten, wer will sowas sehen? Es war schön zu erfahren, wie viele Menschen von unserem Film sowie dem Thema berührt waren. Einige machten sich sogar eigeninitiativ für unseren Film stark. Eine Frau in Lörrach wandte sich beispielsweise direkt an den Kinoverleiher, führte ihm den Film vor und sagte, sie wolle, dass diese Dokumentation in ihrer Stadt gezeigt wird. Das Ergebnis war: Das Lörracher Hauptkino hatte «Real Life» während vielen Wochen im normalen Programm. Wir dachten anfänglich, wenn «Real Life» in 30-40 Kinos gezeigt wird, wäre das ein Riesenerfolg. Bisher sind es mehr als doppelt so viel.

EK: Was hat der Film mit dir persönlich gemacht? Inwiefern hat er dich verändert?

LA: Ich glaube, es gab bisher noch nie ein Projekt, das mich emotional so mitgenommen hat. Meine Sehnsucht beim Filmemachen ist es, zu zeigen, was uns als Menschen ausmacht und was uns alle miteinander verbindet. Bei Philipp waren es der tiefe Frieden und die starke Hoffnung, die er hatte. Er konnte immer wieder Dinge loslassen. Nicht dass ihm alles egal war, doch er gab die Dinge in Gottes Hände ab. Alex (Co-Autor) und ich erlebten beim Machen dieses Films dasselbe – dass wir ganz viele Dinge nicht planen können. Trotz der Distanz zwischen Hessen (Philipp) und Berlin (Lukas) sowie den zeitlichen und organisatorischen Diskrepanzen sind im Film so viele wertvolle Momente enthalten, die ich so selbst nie hätte antipartizipieren können. Wir durften erleben, dass mit Gott ein Regisseur da war, der uns geführt und geleitet hat. Wir konnten ihm unsere Dinge abgeben. Gott ermöglichte viele spontane Aufnahmen, Reisen und besondere Monumente wie z.B. der Karibiktrip u.v.m.

EK: Was für Reaktionen auf diesen Film hast du erlebt und was hat dich besonders in dem ganzen Trubel um den Film berührt?

LA: Bei der Premieren-Tour durfte ich in den Kinos vor Ort miterleben, wann gelacht, geweint oder anderes wurde. Wir haben unzählige E-Mails, Nachrichten und Feedbacks bekommen, in denen uns Menschen teilhaben lassen, inwiefern sie vom Film berührt wurden. Auch festzustellen, dass ein Tabuthema wie das «Sterben» im «normalen» Kinoprogramm einen Platz hat.
Ein besonderes Erlebnis war für mich, als mir jemand erzählte, dass schon mehrere seiner Angehörigen und Freunde usw. gestorben sind, er aber nie richtig dabei sein konnte. Über das filmische «Dabeisein» bei Philipps Tod, verbunden mit Philipps grossen Frieden darin, war das für ihn, wie eine Art Verstehen oder Trost rückwirkend, was das Sterben seiner Freunde angeht.

EK: Du hast schon viele, bewegende und tiefgehende Dokumentarfilme in Ländern wie Afrika, Nordkorea oder den USA realisiert. Was treibt dich an, solch teilweise gefährlichen Projekte anzugehen?

LA: Ich bin kein Kriegsreporter und die Situationen in Afghanistan, Nordkorea oder im Kongo waren keine Kampfsituationen. Die Projekte klingen gefährlich, aber ich überlege mir im Vorfeld genau, auf was ich mich einlasse. Mich interessieren vor allem die Menschen sowie ihre Geschichten hinter diesen Konflikten und Schlagzeilen. Das sind Menschen, die eine Stimme haben, aber nicht gehört werden und ich will ihnen ein Sprachrohr sein. Das bedarf aber auch, Orte und Grenzen zu besuchen, an denen bisher nicht viele Menschen waren. Das Aufzeigen eines politischen Bildes ist nicht mein Hauptfokus. Mich interessieren die grösseren Zusammenhänge, nicht so sehr das Aufzeigen eines politischen Bildes, mehr eine zutiefst menschliche Suche, nachdem was uns zu Menschen macht und uns wie gesagt verbindet.
www.lukasaugustin.com

EK: In Nordkorea musstet ihr meines Wissen nach als Crew eure Handys abgeben. Wie hältst du Kontakt zu deiner Familie während eher schwieriger Drehphasen und wie geht es euch dabei?

LA: Wie hatten unsere Handys erst gar nicht mitgenommen. Ich hatte mit meiner Frau ausgemacht, dass ich sie einmal Tag von Hotel aus anrufe und ihr ein Update gebe, wie es mir geht. Wir hatten Schlüsselsätze vereinbart, um durch die Blume sagen zu können, wie die Lage gerade ist. Alle Details kann man im Vorfeld nicht abschätzen, lediglich bestmöglich vorbereiten. Z.B. hatte ich häufiger in anderen Ländern ein Satellitentelefon für Notfälle wie Nichterreichbarkeit, Stromausfälle etc. dabei.

EK: Würdest du sagen, Neues zu entdecken hat auch immer seinen Preis? Welchen musstest du und deine Familie in den zurückliegenden Jahren bezahlen?

LA: Von aussen sieht das alles immer ganz toll aus, es kostet aber auch was. Z.B., dass ich ein stückweit immer in der Ungewissheit lebe. Ich war noch nie angestellt. Dann die projektabhängige und ergebnisorientierte Bezahlung. Im PR-Bereich würde ich sicherlich mehr Geld verdienen. Ein Preis ist sicherlich, dass ich aufgrund meiner Projekte viel unterwegs bin und dann meine Familie nicht so oft sehe, wie ich mir das wünsche. Es ist eben kein 9 to 5 Job und eine «work life balance» bekommt man nicht so einfach hin.
Ich denke, Berufung hat immer auch ihren Preis. Häufig sage ich: Für einen guten Film bezahlst du mit deinem Leben. Damit meine ich die persönliche Zeit, Beziehungen und eigene Grenzen, die immer wieder überwindet werden müssen. Trotzdem halte ich immer wieder inne, reflektiere und frage mich, wie ein Projekt gelaufen ist. Ich wäge ab, ob es das alles wert war. Gerade habe ich spannende, lukrative Projekte abgesagt, um meiner Ehe, Frau und Familie gerecht zu werden. In all dem erlebe ich wiederholt, wie Gott mich bei Entscheidungen führt und mein Versorger ist. Ich schöpfe aus seiner und nicht meiner Kraft. Meine zwei Fische und fünf Brote gebe ich und schaue, was vor meiner Nase ist. Das Innehalten, Schauen, achtsam bleiben und Beten hilft mir.

EK: Deine Arbeiten wurden zahlreich und international ausgezeichnet. Welche Awards erhieltest du für welche Projekte und was bedeuten sie dir?

LA: Im Jahre 2013 hat CNN einen Kurzfilm über Afghanistan ausgezeichnet. Der Film zeigt dieses Land einmal aus einer anderen Perspektive. Zwei Jahre danach gab es von CNN einen Preis für den Film, welcher die Situation nach dem Völkermord in Ruanda aufzeigt. Während des Völkermords wurden hunderttausende Menschen abgeschlachtet. Zu sehen ist ein Ort, wo Täter und Opfer nach Versöhnung strebend zusammenleben. Hierfür gab es Nominierungen für den Grimme-Preis und den Emmy.
Für eine Dokumentation über einen Häftling in Guantánamo, der über Jahre misshandelt und gefoltert wurde, gewann ich mit einem Team vom NDR einen Emmy. Dort geht es um das Zusammentreffen und die Begegnung von Folterer und Gefangenen. Generell ist es so, dass ich als Autor keine Produktionen und Filme einreiche. Das machen die Produktionsfirmen.

EK: Lukas, dich beschäftigt die Frage schon länger, wie ein Mensch, der Schweres erlebt, weiter an Gott glauben kann und darauf vertraut, dass es dieser trotzdem gut mit ihm meint. Welche Erfahrungen hast du in dieser Hinsicht gemacht?

LA: Schon im Vorfeld bevor es mit «Real Life» losging, hat mich die Frage beschäftigt, wie es einem Menschen geht, der an einen guten Gott glaubt und wie dieser mit unvorhersehbaren Schicksalsschlägen, unerfüllten Wünschen und Gebete umgeht? Ich selbst habe im Teenageralter miterlebt, wie meine Mutter an Krebs gestorben ist und welche Herausforderungen eine solche Situation mit sich bringt. In der anfänglichen Kontaktaufnahme in 2021 mit Philipp ging es genau darum. Ich sagte ihm, dass ich davon überzeugt bin, das ganz gleich wie das am Ende mit seiner Erkrankung ausgehen wird, dass Gott etwas durch sein Leben und seine Geschichte zeigen und andere Menschen ermutigen wird usw. und dass ich diese Reise gerne mit ihm zusammen erzählen möchte. Und das mit allen Höhen, Tiefen, Fragen, Leid und auch Freude und letztlich viel Frieden.

EK: Nach welchen Kriterien wählst du ein Projekt aus und wo siehst du innerhalb deiner Arbeit Grenzen?

LA: Für mich ist es immer sehr wichtig einen Sinn in einem Projekt zu sehen. Menschen schenken mir ihre wertvolle Zeit, die will ich wertschätzen und will ich ihnen etwas zeigen, was es wert ist, gesehen zu werden. Für mich gibt es journalistische und ethische Grenzen in meiner Arbeit. Meine Familie ist in diesem Zusammenhang auch ganz wichtig, u.a. um sie zu schützen. In der Situation im Krankenhaus beispielsweise, wo Philipp im Sterben lag und er zu mir sagte, dass ich die Kamera in dem Augenblick weiterlaufen lassen sollte, haben wir ihn nicht in irgendeiner Art vorgeführt. Die Aufnahmen haben immer einen bestimmten Zweck und wir achten darauf, dass sie würdevoll sind. Auch das Philipp authentisch gezeigt wird. Es geht nicht darum, eine Geschichte in irgendeiner Form auszuschlachten. So war es uns z.B. sehr wichtig, als der Film irgendwann fertig war nach Philipps Tod, dass sein Zwillingsbruder Johannes diesen auch als Erster sieht.

EK: Ein Projekt ist so lange neu, bis das nächste neue kommt. Woran arbeitest du gerade und was können wir von dir in Zukunft ungeduldig erwarten?

LA: Mein nächstes Projekt ist momentan noch nicht spruchreif. Allgemein wünsche ich mir, dass es im deutschsprachigen Raum mehr solche Filme gibt wie «Real Life». Das war auch das Feedback der Menschen auf den Film. Nach mittlerweile 20 Jahren Erfahrung im Filmbusiness will ich zukünftig mehr in den Spielfilmbereich gehen und auch mehr inszenieren. Daneben will ich auch solche «Nischenprojekte» wie «Real Life» mit fördern, weil es sich gezeigt hat, auch solche Art von Filmen können sehr erfolgreich sein. Aktuell bin ich mit verschiedenen Leuten am Sondieren, was geschehen oder getan werden muss, dass mehr solche Art von Filmen produziert und realisiert werden können.
In dem Film «Real Life» haben Alex und ich immer wieder nach einer authentischen Darstellung gesucht, um Philipp und seiner Persönlichkeit gerecht zu werden. Wir wollten nicht irgendeinen Film abliefern. Wir waren stets auf der Suche nach kreativer Excellenz. Genau diesen Weg will ich auch in Zukunft suchen und gehen. Ich will Filme machen die nicht nur sinnvoll sind, einen guten Inhalt haben, sondern auch handwerklich exzellent umgesetzt sind. So lassen sich auch sehr unterschiedliche Menschen erreichen, vielleicht berühren und sie Neues erleben lassen.

EK: Lukas, ich danke dir ganz herzlich für deine Offenheit, Klarheit und die Möglichkeit, mehr von dir zu erfahren. Das ganze SWK-Team wünscht dir und deiner Familie Gottes Segen und Führung in allem, was du anpackst und auch ablehnst. Danke!

Das Interview führte
Eberhard Koll
Leiter Marketing und Kommunikation

Ferbuar 2024