In der Ausgabe des SWK-Magazins «Rede Mitenand» 2/2023 ging es um das Thema: «HinGucker», und wir hatten die Freude, dazu ein Interview mit der EVP-Politikerin Lilian Studer zu führen.

Jonathan Eschmann (JE): Lilian Studer ist Nationalrätin für den Kanton Aargau und Präsidentin der EVP Schweiz. Als «HinGuckerin» konnte sie bereits einige Steine ins Rollen bringen. Lilian Studer, stell Dich doch unseren Lesern kurz vor.

Lilian Studer (LS): Ich wohne in Wettingen und bin auch dort aufgewachsen. Seit über 20 Jahren bin ich in der Politik tätig und darin seit 2019 im Nationalrat. Vor meinem Mandat als Präsidentin der EVP Schweiz arbeitete ich als Geschäftsführerin beim Blauen Kreuz Aargau/Luzern.

Menschen sind mir sehr wichtig, das ist auch ein Grund, warum ich in der Politik tätig bin. Ich bin daran interessiert, wie es unserer Gesellschaft geht und möchte mithelfen, für die Bevölkerung gute Rahmenbedingungen zu schaffen, in Problemsituationen weiterzudenken und gute Lösungen zu finden. Zudem verstehe ich mich auch als Brückenbauerin zwischen Menschen und ihren unterschiedlichen Ansichten.

JE: Als Nationalrätin in der Schweiz bist Du besonders herausgefordert, hinzugucken. Was bedeutet das für Dich?

LS: Gerade auf Bundesebene bekommt man eine grosse Auslegeordnung und viele Fakten zu hören und zu lesen. U. a. erhalten wir viele Unterlagen oder es werden Anhörungen durchgeführt. Da gilt es, sich darin zu vertiefen, darüber zu diskutieren und herauszufinden, welche Rahmenbedingungen für ein gutes Zusammenleben geschaffen werden müssen. Ich bin immer daran interessiert, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, um hinzuhören, wo die Bedürfnisse, Schwierigkeiten und Nöte der Bevölkerung sind oder um Wissen über bestimmte Themen zu erhalten.

JE: Was bereitet Dir in unserer Gesellschaft besonders Sorge und wo lohnt es sich, genauer hinzuschauen?

LS: Die aktuellen Krisen, welche in der Bevölkerung grosse Themen geworden sind, werden uns in Zukunft noch verstärkt beschäftigen. Dazu kommen Themen wie Erhöhung der Krankenkassenprämien, Mieten, Lebenshaltungskosten. Besonders unsere Jugendlichen sind mit Angstzuständen und psychischen Belastungen durch diese Themen konfrontiert und sprechen diese Ängste auch aus. Ihnen konkrete Hilfen zur Verfügung stellen zu können ist schon jetzt eine Herausforderung und muss ernst genommen werden.

JE: Ich nehme wahr, dass Du Dich zum Thema Menschenhandel starkmachst. Was ist Deine persönliche Geschichte dazu, dass Du Dich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzt und dort eine Hinguckerin geworden bist?

LS: Da ich viel lese, wurde ich schnell auch auf dieses Thema aufmerksam. Dazu kenne ich einige Leute, die sich in diesem Themenbereich stark engagieren. Vom Verantwortlichen des Bundes, der für die Koordinationsstelle im Bereich Menschenhandel zuständig ist, erfuhr ich, was bei uns im Kanton damals so lief, dass nicht wirklich gehandelt wurde und was zur Eindämmung aber nützen würde. Da wusste ich, dass ich hier politisch handeln musste. Weil besonders AusländerInnen davon betroffen sind, geht dieses Thema leider immer etwas verloren. Bei genauerem Hinschauen und somit Setzen von Massnahmen gibt es zudem einiges an Kosten, die uns eben auch als politische Behörde abschrecken. Wenn wir aber nicht hinschauen und handeln, fördern wir den Menschenhandeln noch viel mehr.

JE: Kannst Du uns ein paar Fakten dazu geben, inwieweit wir in der Schweiz davon betroffen sind?

LS: Weltweit schätzt man, dass rund 40 Millionen Menschen Opfer von Menschenhandel sind. 92 % der identifizierten Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sind Frauen und Mädchen. Im Bereich Ausbeutung der Arbeitskraft sind es 59 % Männer und Jungen. Die Schweiz ist Transit- und Zielland für den Menschenhandel, darum braucht es unbedingt eine Sensibilität. Auf Bundesebene gibt es ein nationaler Aktionsplan, wobei für die Umsetzung hauptsächlich die Kantone zuständig sind. Nur fehlen dort leider häufig Ressourcen, um gegen den Menschenhandel aktiv zu werden.

JE: Kannst Du auf politischer Ebene tatsächlich etwas erreichen und konntest Du Erfolge erzielen?

LS: Ich reichte im Kantonsparlament zusammen mit meiner Fraktion einen Vorstoss ein, mit der Forderung, ein Massnahmenpaket auszuarbeiten, um dem Menschenhandel entgegenzuwirken. Konkret bedeutete dies, dass den Kantonen mehr Finanzen zur Verfügung gestellt wurde, um u. a. Spezialisten in der Strafverfolgung einzusetzen oder um einen runden Tisch mit diversen Akteuren zu tätigen. Schweizweit merkt man schon, dass in den letzten Jahren mehr sensibilisiert wurde, denn es werden mehr Gerichtsurteile gefällt und höhere Strafen umgesetzt.

JE: Die Bevölkerung denkt oft, dass Ihr PolitikerInnen sich dieser Themen annehmen müsst. Inwiefern bist aber Du als Privatperson da involviert und können wir als Privatpersonen zum Thema Menschenhandel Veränderungen bewirken?

LS: Je besser die Lebensgrundlagen und Bildung in gewissen Ländern sind, desto weniger kommen Menschen in den Zwang, ins Ausland gehen zu wollen, oder insbesondere bei Frauen, sich in Abhängigkeiten von Männern zu begeben. Die Sensibilisierung für dieses Thema in den Familien und in den Schulen dort, aber auch bei uns ist zentral. Die «Loverboy-Masche» kann auch in der Schweiz geschehen, das Internet spielt heute dabei eine vermehrte Rolle. Im Bereich des Menschenhandels gibt es einige Organisationen, die sich einsetzen. Man kann sich diesen Organisationen anschliessen oder ihnen Spenden zukommen lassen. Sich zu informieren und Bescheid zu wissen und dann z. B. in den sozialen Medien den Menschenhandel zu thematisieren, dies sensibilisiert die Bevölkerung und macht auch Druck auf die Politik, damit sie hinschauen und handeln.

JE: Du stellst Dich im Herbst zur Wiederwahl, ja stellst Dich sogar zur Wahl als Ständerätin zur Verfügung. Gibt es etwas, was Du unseren LeserInnen in Bezug auf die Wahlen ganz besonders ans Herz legen möchtest?

LS: Geht wählen, denn Ihr entscheidet so mit, wie unsere Zukunft geprägt werden soll. Selbstverständlich freue ich mich, wenn Ihr mir und meiner Partei die Stimme gebt. Wie zu Beginn erwähnt, sind mir die Menschen und unser Zusammenleben sehr wichtig, dies ist meine Hauptmotivation. Und meinen Beitrag für unser Wohlergehen und unser Zusammenleben würde ich gerne weiterhin leisten. Sei es im Nationalrat oder eben im Ständerat. Für den Ständerat bringe ich einen grossen Rucksack mit, meine Art und Weise zu politisieren passt in diese Kammer.

JE: Wir verlassen die Welt der Politik: Lilian Studer als Hinguckerin, was möchtest Du unserer Leserschaft mit auf den Weg geben?

LS: Der Dialog mit Menschen gehört für ein gutes Zusammenleben dazu. Diesen zu pflegen, voneinander zu lernen, einander anzuregen, auch wenn man nicht alles gleich sieht und gleich denkt, ist sehr bereichernd. Ich lerne enorm viel von andern, kann aber auch viel geben. Es ist immer ein Gewinn für alle Beteiligten.

JE: Herzlichen Dank, Lilian, fürs Rede und Antwort stehen. Wir wünschen Dir alles Gute und weitere Erfolgsgeschichten auf Deinem politischen und privaten Weg.

Das Interview führte
Jonny Eschmann
Geschäftsführer

Mai 2023