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Ehe im sechsten Jahrzehnt

Wie auf einer Bergtour wird der Ausblick immer eindrücklicher. Wir kennen uns 60 Jahre lang und sind seit 52 Jahren verheiratet. Wir staunen immer mehr über Bewahrungen und Führungen Gottes. Die dunklen Täler verschwinden im Nebel der Versöhnung und die sonnigen Seiten erstrahlen in leuchtenden Herbstfarben. Manchmal entfährt es mir: «Wow, welche Sicht! Und das alles einfach so geschenkt!»

Leben im Jetzt
Generell wollen wir im Augenblick und nicht in der Vergangenheit leben. Der Kampf gegen das «Keine-Zeit-Syndrom» fällt uns nicht leicht. Wir möchten noch so vieles, das wir vernachlässigt haben. Das Angebot der Möglichkeiten ist riesig. Unser Beitrag an das Gemeindeleben im EGW hat Priorität. Aufgaben an der Front haben wir der jüngeren Generation überlassen. An Gebetsanlässen hält sich das Gedränge in Grenzen, da sind die Alten noch gefragt. Auch die Betreuung von Senioren im letzten Lebensabschnitt ist eine befriedigende Aufgabe.

Die Aussagen des Partners legen wir nicht mehr auf die Goldwaage. Wir verstehen, was der andere meint.

Alle wichtigen Lebensfragen sind gelöst. Glaube, Partnerwahl, Beruf, Karriere, Kinder, Geld und so weiter sind «im Trockenen». Es bleibt nur noch wenig zum Streiten. Die Aussagen des Partners legen wir nicht mehr auf die Goldwaage. Wir verstehen, was der andere meint. Es bleibt die Herausforderung, mit den rasanten Veränderungen in der Welt zurecht zu kommen. Ich bin beruhigt, dass EINE Konstante bleibt: Jesus war von Anfang an der Dritte im Bunde.

Es ist Erntezeit
Jetzt ist die Stunde der Wahrheit. Paulus schrieb: Was du säst, wirst du ernten. Wir durften mithelfen, ins Reich Gottes zu investieren. Sichtbare Früchte erfreuen uns immer wieder. Wir geniessen auch die AHV, in die wir so viele Jahre einbezahlt haben. Die schönste «Beute» sind die erwachsenen Kinder! Gespannt verfolgen wir die Lebensgestaltung der Jungen auf ihrem guten Weg.

Ein unverdientes Geschenk sind die Grosskinder. Ohne Verpflichtung geniessen wir das Aufblühen der neuen Generation. Bei dieser ist nicht nur Ernten am Platz, sondern erneutes Säen. Ich freue mich auch an den vielen eigenhändig gepflanzten, gut gedeihenden Bäumen. Bethli hat mit viel Herzblut das Musizieren gepflegt. Heute kann es diese Fertigkeit noch mit Freude praktizieren und bei verschiedenen Gelegenheiten anwenden.

Von der Wiege bis zur Bahre ist Sexualität ein Thema. Der Sturm hat sich zwar gelegt. Häufigkeit und Praxis haben sich im Laufe der Zeit verändert. Das intime Zusammensein hat aber den Reiz nicht verloren! Dem anderen Freude bereiten und sich selber wohltun lassen bleibt eine Quelle des Glücks.

Es ist wie bei den Autos: Plötzlich hat man einen Oldtimer!

Wir versuchen dem Alterungsprozess sportlich zu begegnen. Jeden Morgen danken wir gemeinsam für die neue Zugabe. Im Alter nimmt der Wert des Partners wieder zu. Es ist wie bei den Autos: Plötzlich hat man einen Oldtimer! Wenn eines die Sachen nicht mehr findet, über Gelenkschmerzen klagt oder stolpert, sagt das andere: «Wie bei mir, wir werden doch gemeinsam alt!».

Eigentlich haben wir keine Tabus mehr. Wir wissen, dass der steile und mühsame Aufstieg zum Gipfel bevorsteht. Wir prüfen gemeinsam Möglichkeiten zur Bewältigung der letzten Herausforderung. Über das Sterben allgemein können wir gut reden. Aber der Gedanke an den Abschied des Partners macht Mühe. Eines von uns wird einmal das grosse Los ziehen und als erstes heimgehen. Das Zurückbleibende wird dann ein Problem haben. Aber beide besitzen das Privileg von vielen Erfahrungen mit einem treuen Gott. Er wird uns auch in dieser Phase beistehen.

Bethli und Fritz Gugger, Uetendorf


Text und Bild mit freundlicher Genehmigung aus «wort+wärch», Monatszeitschrift des EGW


2 Kommentare
  1. René Niederhauser
    René Niederhauser sagte:

    Danke für den ehrlichen, wohltuenden Artikel. In vielen Punkten kann ich nach 45 Ehejahren nur zustimmen. Über gewisse Aussagen „plötzlich ein Oldtimer“ konnten wir von Herzen lachen.

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