In der Ausgabe des SWK-Magazins «Rede Mitenand» 1/2025 ging es um das Thema «GrenzSprenger». Dr. Barbara Studer, Expertin für Hirngesundheit, klärt im Interview auf, wie wir mit kleinen Veränderungen unser Gehirn stärken und unser Glück aktiv beeinflussen können. Nach ihrem Studium der Neuropsychologie war sie in der neurowissenschaftlichen Forschung und Praxis tätig. Bis heute lehrt sie an der Universität Bern. Ihr Unternehmen «Hirncoach AG» bietet wissenschaftlich fundierte Programme an für die Förderung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Gehirns in jedem Alter.
Nachfolgend das vollständige Interview:
Natascha Demierre (ND): Was inspiriert dich in deiner Arbeit und hat dich dazu bewegt, damit an die Öffentlichkeit zu gehen?
Barbara Studer (BS): Einerseits fasziniert mich, welche bahnbrechenden Erkenntnisse die Hirnforschung in den letzten 30 bis 40 Jahren gewonnen hat – Erkenntnisse, über die meiner Meinung nach noch viel zu wenig gesprochen wird. Andererseits hat mich eine persönliche Geschichte dazu bewegt: Mein Vater litt unter schweren Depressionen. Ich bin davon überzeugt, dass wir zwar nicht alles in der Hand haben, aber viele psychische Beeinträchtigungen präventiv verhindern könnten, denn nach dem Ausbruch einer solchen Erkrankung wird das deutlich schwieriger. Die Hirnforschung weiss heute, wie wir unsere psychische Balance gezielt fördern können. Solch wertvolles Wissen sollte viel präsenter sein und beispielsweise an Schulen vermittelt werden.
ND: Das Gehirn eines Kindes entwickelt sich rasant und legt in den ersten Lebensjahren entscheidende Grundlagen. Wie lernfähig bleibt unser Gehirn im Erwachsenenalter und was können wir tun, um geistig fit zu bleiben?
BS: Die gezielte Förderung der Hirnentwicklung im Kindes- und Jugendalter ist essenziell, denn in dieser Lebensphase befindet sich das Gehirn noch im Aufbau. Wird während dieser Lebensjahre in sichere emotionale Bindungen sowie in kreative Aktivitäten wie Musik und Naturverbundenheit investiert, trägt das lebenslang Früchte. Besonders wertvoll sind auch körperliche Bewegung und Koordination.
Hirnscans zeigen jedoch, dass sich unser Gehirn lebenslang anpasst – man nennt das Neuroplastizität. Das schenkt uns allen eine grosse Verantwortung und eröffnet enorme Chancen. Die Fähigkeit zur stetigen Veränderung und Entwicklung sollten wir aktiv nutzen. So wie das Gehirn durch Training gestärkt wird, baut es bei Inaktivität auch ab. Das Schlimmste, was wir unserem Gehirn antun können, ist, in starren Routinen zu verharren.
Als Kind hörte ich oft den Satz: «Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.» Dank der Hirnforschung wissen wir heute, dass diese Annahme überholt ist. Unser Gehirn bleibt ein Leben lang veränderbar und bis ins hohe Alter lernfähig. So sollten wir auch Glaubenssätze wie: «Im Alter nimmt die Hirnleistung ab.» aus dem Kopf schaffen. Zwar nehmen Volumen und Geschwindigkeit im Gehirn leicht ab, doch ältere Menschen entwickeln Fähigkeiten, die sie in jüngeren Jahren noch nicht hatten.
Eine gesunde, neugierige und offene Haltung ist entscheidend, um das Gehirn flexibel und leistungsfähig zu halten. Je mehr wir unsere Hirnzellen fördern, desto widerstandsfähiger werden sie. Das beugt auch altersbedingten Abbau vor.
ND: In welchem Bereich beobachtest du eine positive Entwicklung in Bezug auf die Hirngesundheit?
BS: Heute wird mehr über die Bedeutung der Ernährung aufgeklärt, die einen erheblichen Einfluss aufs Gehirn hat. Es scheint langsam ein Umdenken zu kommen, auf stark verarbeitete Produkte besser zu verzichten. Darm und Gehirn sind eng miteinander verbunden und dieser Austausch wirkt sich stark auf unser mentales Wohlbefinden aus. Viele unserer Glückshormone werden im Darm produziert, diese wiederum sind vom individuellen Mikrobiom abhängig. Viel Rohkost, gesunde Ballaststoffe, hochwertige Fette und Proteine sind von grosser Bedeutung. Mit einer ausgewogenen Ernährung und regelmässiger Bewegung lässt sich bereits viel fürs eigene Wohlbefinden machen.
ND: Wie wirken sich zwischenmenschliche Beziehungen auf unser Gehirn aus? Welche Aspekte fördern Beziehungen aus Sicht der Hirnforschung und welche wirken hemmend?
BS: Unser Gehirn ist von Natur aus sozial ausgerichtet. Gute Beziehungen sind essenziell, weil uns emotionale Verbindung Sicherheit gibt. Freundschaften machen uns glücklich und regen unser kreatives Denken an. Das sind entscheidender Faktoren für unsere Gesundheit. Es gibt aber auch Beziehungen, die Energie rauben und belastend sind. Darum lohnt es sich, das eigene Umfeld genau zu betrachten: Umgeben wir uns mit Menschen, die häufig negative Gedanken äussern, übernehmen wir unbewusst ihre Denkweise.
Umso wichtiger ist es, Menschen in unserem Leben zu haben, die eine positive Grundhaltung mitbringen, mit uns gemeinsam Herausforderungen anpacken, sich inspirieren lassen und uns inspirieren.
Wir besitzen Strukturen im Gehirn, die darauf ausgelegt sind, Emotionen unseres Gegenübers wahrzunehmen und Empathie zu entwickeln. Wenn wir die Gefühle anderer miterleben, aktiviert unser Gehirn dieselben Bereiche, als ob wir diese Emotionen selbst erleben würden. Kein Computer kann je diese einzigartige, mitfühlende Fähigkeit des menschlichen Gehirns nachahmen – eine wahrhaft kraftvolle Eigenschaft!
ND: Wie wirkt sich Einsamkeit aus Sicht der Hirnforschung aus?
BS: Soziale Isolation ist einer der grössten Risikofaktoren für Demenzerkrankungen. Ein Mangel an emotionalen Verbindungen führt zu einer Schrumpfung des Hippocampus, dem Gedächtniszentrum des Gehirns. Studien zeigen, dass bereits kurze Phasen der unerwünschten Einsamkeit sichtbare Veränderungen im Gehirn verursachen können. Diese Erkenntnisse verdeutlichen, wie wichtig Beziehungen für unser Wohlbefinden sind: Der Mensch ist schlicht nicht für ein isoliertes Leben geschaffen.
Unsere Beziehungen sind der prägendste Faktor für unser Glück. Eine demütige und dankbare Haltung unseren Liebsten gegenüber kann helfen, diese wertvollen Verbindungen zu schätzen – besonders, wenn wir diese Dankbarkeit unseren Mitmenschen gegenüber aktiv zum Ausdruck bringen.
ND: Ich danke dir herzlich für das Interview.
Das Interview führte
Natascha Demierre
«Hirncoach AG» ist ein Spin-Off der Universität Bern und bietet ein wissenschaftlich fundiertes Programm zur Förderung der mentalen Gesundheit in jedem Alter an. Dieses beinhaltet ein ganzheitliches Gehirntraining sowie Schulprogramme für mehr Hirnkompetenz und Prävention psychischer Krankheiten. Mehr Informationen unter www.hirncoach.ch und zu den Schulprogrammen unter www.hirncoach.ch/school.
Januar 2025